Epilepsie – vielfältig und weitverbreitet
05.10.2021
Chefarzt Dr. Thorsten Fortwängler beantwortet Fragen zum Welttag der
Epilepsie
Ein Bild
von epileptischen Anfall hat jeder vor Augen: Eine Person liegt auf dem Boden,
bewegt sich unkontrolliert und hat vielleicht sogar Schaum vorm Mund. Dass die
Erkrankung auch ganz anders aussehen kann, erklärt Chefarzt Dr. Thorsten
Fortwängler vom DONAUISAR Klinikum Deggendorf. Im folgenden Interview zum Welttag
der Epilepsie am 5. Oktober beantwortet er auch Fragen nach der Behandlung, der
Teilnahme am Straßenverkehr und einem guten Leben mit der Erkrankung, von der
immerhin jeder 100. Deutsche betroffen ist.
Wie äußert sich Epilepsie:
Eine
Epilepsie bzw. epileptische Anfälle können sich in vielen Formen äußern. Es
kann besonders im Kindes- und Jugendalter zu kurzen Bewusstseinsstörungen
kommen, die wie „Tagträumereien“ wirken, auch kurze Zuckungen können Ausdruck
eines epileptischen Anfalls sein. Ebenso können wiederholte ungewohnte
Körperwahrnehmungen und auch ungewohnte Gefühlswahrnehmungen Ausdruck eines
Anfalls sein. Zuckungen von Extremitäten oder auch im Gesicht (und hier ist
nicht das einfache und regelhaft harmlose Zucken eines Augenlides gemeint) können
ebenso Ausdruck eines Anfalls sein wie auch eine Verwirrung oder eine
Schläfrigkeit bis hin zu komatösen Bewusstseinsstörungen. Natürlich kann es
auch zu den allgemein bekannten „Großen Anfällen“ kommen, in welchen sich der
Patient am ganzen Körper verkrampft und dieser das Bewusstsein verliert.
Muss Epilepsie immer behandelt werden?
Von einer
Epilepsie spricht man üblicherweise und vereinfacht, wenn der Patient in einem
gewissen Zeitraum zwei Anfallsereignisse gehabt hat, oder aber wenn der Patient
nur ein einziges Anfallsereignis hatte, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit einer
Wiederholung vorliegt (z. B. wenn in der Hirnstromkurve Hinweise für eine
erhöhte Neigung zu Anfällen vorliegen oder aber auch eine Hirnveränderung ein
neuerliches Ereignis erwarten lässt). Eine Behandlung (üblicherweise mit
Medikamenten) ist meist sinnvoll, um den Betroffenen ein wieder normales
anfallsfreies Leben und beispielsweise auch die Teilnahme am Straßenverkehr
wieder zu ermöglichen.
Wie wird Epilepsie behandelt
Schon seit
über einhundert Jahren wurden als eines der ersten Medikamente Brom und etwas
später die auch heute noch gelegentlich verwendeten Barbiturate in die
Behandlung der Epilepsie eingeführt. Heutzutage gibt es mehr als zwanzig
verschiedene Medikamente zur Behandlung der Epilepsie, und es werden noch immer
neue und in speziellen Fällen wirksamere Medikamente eingeführt. Hoffentlich
kann man bereits mit einem dieser Medikamente eine Anfallsfreiheit erzielen,
allerdings kann es auch erforderlich sein, zwei oder noch mehr Medikamente zu
kombinieren, um eine Anfallsarmut, vorzugsweise aber eine Anfallsfreiheit zu
erreichen.
Auch wenn
eine Epilepsiebehandlung ohne Medikamente undenkbar ist, so kann es in
einzelnen Fällen günstig sein, die Ernährung anzupassen. Es kann in einzelnen
Fällen und insbesondere bei nicht effektiver Behandlung mit Medikamenten
sinnvoll sein, einen operativen Eingriff zu erwägen, wenn ein Ursprungsort der
epileptischen Anfälle gesichert werden kann
Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?
Diese
Frage ist nicht pauschal zu beantworten, in jedem Falle aber sollte man einen
Arzt aufsuchen, wenn man einen ersten Anfall erlitten hat. Es ist dann nämlich
notwendig, eventuelle Gründe für das Anfallsereignis zu finden und
zugrundeliegende Störungen der Hirnstruktur und der Hirnfunktion möglichst
auszuschließen. Diese Aufgabe übernimmt der Neurologe. Der Neurologe betreut
Sie auch, wenn Sie an einer Epilepsie leiden, wenn es um die Frage der
Fahrtüchtigkeit geht, in der Frage der medikamentösen Einstellung und er kann
Sie in überschaubaren und gezielten Fragen zur Lebensführung beraten.
Kann man mit einer Epilepsie gut leben?
Die
meisten Menschen können mit einer Epilepsie gut leben, es ist ja zu bedenken,
dass nahezu jeder 100. Bundesbürger an einer Epilepsie leidet. Mithin hat
immerhin fast jeder 20. Bundesbürger – aus welchen Gründen auch immer – einen
epileptischen Anfall in seinem Leben erlitten. Eine Epilepsie, aber auch nur
einzelne Anfälle sind somit häufiger, als man gemeinhin denkt.
Man darf nicht vergessen,
dass man nach einer ausreichenden anfallsfreien Zeit (üblicherweise ein Jahr)
auch wieder Autofahren kann. Natürlich kann es zu Einschränkungen in der
Lebensgestaltung kommen, so sollte man mit einer Epilepsie nicht in offenen
Gewässern baden und auch Situationen meiden, in welchen ein Anfall mit
schwerwiegenden Folgen verknüpft sein kann (Sturz vom Dach, Klettern etc).
Schwierigkeiten kann es für Epilepsiepatienten auch in bestimmten Arbeitssituationen
geben, so bspw. bei Schichttätigkeiten, verantwortungsvoller Alleinarbeit in
Schichtdiensten oder aber auch in gefährdenden Arbeitssituationen. In diesen
nicht einfachen sozialmedizinischen Fragestellungen besteht eine
Beratungsmöglichkeit durch die Epilepsieberatung Niederbayern