Altersmedizin hilft bei der Erhaltung der Selbstständigkeit

01.10.2021

Chefarzt Dr. Peter Kolbinger beantwortet Fragen zum Welttag der älteren Menschen

Mit der Altersmedizin verfügt das DONAUISAR Klinikum in Deggendorf und Landau über besondere Einrichtungen zur Behandlung von hochbetagten Patienten. Zum Welttag des älteren Menschen haben wir den Leiter der Landauer Abteilung zu seiner Wahrnehmung der aktuellen Situation befragt. Chefarzt Dr. Peter Kolbinger gibt Auskunft zu diesen interessanten Themen. Unter anderem beantwortet er folgende Fragen: Was ist für ältere Patienten wichtig, wie kann man ihnen am besten helfen und welche Rolle spielt Corona?

Ab wann beginnt für Sie der „ältere Mensch“?
Natürlich spielt hier das Lebensalter eine Rolle, aber es lässt sich kein fester Zeitpunkt angeben im Sinne von „gestern war ich noch jung, ab heute bin ich alt“. Wir sehen heutzutage 90-jährige, die alleine ihren Haushalt machen, aktiv sind und im Alltag auf keinerlei Hilfe angewiesen sind, aber auch Ende 50-jährige die schon so schwach und gebrechlich sind, dass sie sich alt fühlen.
In der Altersmedizin bezeichnen wir einen Patienten als „geriatrisch“ also alt, wenn er in der Regel über 70 Jahre alt ist und eine alterstypische Multimorbidität aufweist, also durch alterstypische Begleiterkrankungen in seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Die über 80-jährigen sehen wir dabei generell als „ältere Menschen“ an, weil sie erfahrungsgemäß doch empfindlicher auf akute Erkrankungen oder andere äußere Einflüsse reagieren und dann leicht ihre Selbstständigkeit verlieren können, auch wenn sie vorher noch sehr rüstig gewirkt haben.
Nicht außer Acht lassen darf man das subjektiv gefühlte Alter. Wie mal eine 95-Jährige Patientin zu mir sagte „ins Altersheim gehe ich noch nicht, denn da wohnen ja nur lauter alte Menschen“. 

Was sind generell die größten Wünsche und Herausforderungen älterer Menschen nach Ihrer Erfahrung?
Die meisten älteren Menschen haben eine erstaunlich klare Vorstellung davon was sie von ihrem Leben noch erwarten und den meisten ist bewusst, dass die Lebenszeit begrenzt ist. Kaum einer wünscht sich möglichst lange zu leben um jeden Preis, sondern die Lebensqualität in den verbleibenden Jahren steht ganz oben auf der Wunschliste. Vor allem wird auf den Erhalt der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit großer Wert gelegt. In den eigenen vier Wänden wohnen zu können, nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein und niemandem zur Last zu fallen, sind die am häufigsten genannten Wünsche.
Belastende Symptome werden dabei oft als altersbedingt naturgegeben hingenommen und gar nicht erwähnt, wenn man nicht gezielt danach fragt. Als Beispiele seien hier chronische Schmerzen, nachlassende geistige Leistungsfähigkeit oder auch die Harninkontinenz genannt, die viele ältere Menschen belasten, aber nicht behandelt werden, weil sie nicht angesprochen werden.

Welche Bedeutung hat die Altersmedizin?
Die Altersmedizin hat sich den komplexen Herausforderungen verschrieben die unsere älteren Patienten mitbringen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur ein Symptom behandelt wird, sondern stets ganzheitlich der Gesamtzustand des Patienten im Auge behalten wird und neben den körperlichen Beschwerden auch die psychische Situation, das soziale Umfeld und vor allem die Funktionalität des Patienten beachtet wird.
Um dies zu leisten führen wir bei jedem unserer Patienten ein sogenanntes geriatrisches Assessment durch, in dem wir systematisch die körperliche, geistige, emotionale und soziale Situation des Patienten erfassen um dann im multiprofessionellen Team nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Autonomie und Lebensqualität soweit wie möglich zu verbessern. Dadurch werden wir auch auf Probleme aufmerksam, die sonst nicht auffallen würden. Wenn wir beispielsweise jemanden wegen einer Herzschwäche stationär aufnehmen und im geriatrischen Assessment feststellen dass der Patient eine Gangunsicherheit mit erhöhtem Sturzrisiko hat, dann werden wir auch versuchen die Ursachen der Gangunsicherheit festzustellen, unsere Physiotherapeuten werden an der Verbesserung der Gangsicherheit und Stabilität arbeiten, der Sozialdienst wird für die Ausstattung mit geeigneten Hilfsmitteln sorgen und gemeinsam mit den Angehörigen werden wir klären ob im häuslichen Umfeld Anpassungen erforderlich sind um das Sturzrisiko zu vermindern. Altersmedizin hat also auch einen prophylaktischen Aspekt, denn wir wollen mit unseren Maßnahmen nicht warten bis der Patient nach häuslichem Sturz erneut ins Krankenhaus kommt.
Im Sinne einer vorbeugenden Medizin hat sich die Altersmedizin durch ihren interdisziplinären Ansatz gerade auch bei der Behandlung von Demenzpatienten etabliert. Diese Patienten sind besonders gefährdet im Rahmen einer akuten Erkrankung ein Delir zu erleiden, also einen akuten Verwirrtheitszustand mit Unruhezuständen und teils auch aggressivem Verhalten. Hier hat sich das geriatrische Setting mit Teamarbeit, Tagesstrukturierung, aktivierender Pflege durch entsprechend geschultes Personal und Einbeziehung der Angehörigen als probates Mittel etabliert um diese unerwünschte und für den Patienten und alle Beteiligten sehr belastende Komplikation zu vermeiden oder zumindest zu verringern.

Was ist das spezielle Angebot in Landau?
Das Zentrum für Altersmedizin in Landau umfasst zum einen die stationäre Akutgeriatrie mit der akutgeriatrischen Frührehabilitation. Letztere ist eine Kombination aus akutmedizinischer Krankenhausbehandlung und gleichzeitig beginnender Rehabilitation. Die frühe Mobilisierung hat bei älteren Patienten einen besonders hohen Stellenwert, da bei ihnen manchmal schon wenige Tage Bettlägrigkeit zum Muskelabbau mit Verlust der Mobilität und Selbstständigkeit führen und damit letztlich zur Pflegebedürftigkeit. Hier haben wir auch eine gute Zusammenarbeit mit dem Klinikum Dingolfing aufgebaut, indem wir Patienten die dort zum Beispiel in der Schlaganfalleinheit oder in der Unfallchirurgie behandelt werden und wegen ihrer Begleiterkrankungen noch nicht in eine externe Rehabilitation verlegt werden können nach Landau zur geriatrischen Frühreha übernehmen um neben Fortsetzung der Akuttherapie und Vervollständigung der erforderlichen Diagnostik frühzeitige Rehamaßnahmen zur Wiederherstellung der Mobilität und Selbstständigkeit durchzuführen.
Zweites Standbein ist unsere geriatrische Tagesklinik zur Diagnostik und Therapie von Patienten die keine vollstationäre Behandlung benötigen.
Als dritte Säule des altersmedizinischen Angebots haben wir eine geriatrische Institutsambulanz beantragt, die uns ermöglichen würde unsere Hausärzte auch ohne stationäre oder teilstationäre Aufnahme bei der Behandlung geriatrischer Patienten zu beraten und zu unterstützen. Hier steht die Genehmigung durch die kassenärztliche Vereinigung allerdings noch aus.

Wie kann eine tagesklinische Therapie unterstützen und die Gesundheit und Selbstständigkeit der Patienten erhalten?
Die geriatrische Tagesklinik ermöglicht eine teilstationäre Behandlung, das heißt der Patient bekommt tagsüber alle Leistungen der vollstationären Behandlung durch das multiprofessionelle geriatrische Team, bleibt aber abends und am Wochenende im vertrauten häuslichen Umfeld. Er wird dazu morgens vom Fahrdienst zu Hause abgeholt, in der Tagesklinik erfolgen die erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und abends wird er wieder nach Hause gebracht. In der Regel umfasst ein Aufenthalt in der geriatrischen Tagesklinik drei Wochen mit 15 Behandlungstagen jeweils an den Wochentagen von Montag bis Freitag.
Dadurch können wir diagnostische Maßnahmen durchführen die ambulant nicht möglich sind ohne dass der Patient sich gleich in stationäre Behandlung ins Krankenhaus begeben muss. Durch die intensiven Therapiemaßnahmen mit mehrmals täglicher Krankengymnastik, Ergotherapie, aktivierender Pflege, Unterstützung durch Psychologen und Sozialdienst und täglichen Arztvisiten lassen sich Mobilität, Ausdauer und Selbstständigkeit merklich verbessern. Der Patient wird trotzdem nicht aus seinem vertrauten Umfeld herausgerissen und bleibt weiter in Kontakt mit seinen Angehörigen oder auch seinem geliebten Haustier und kann in seinem eigenen Bett schlafen.
Die Fahrtkosten zur Tagesklinik übernimmt übrigens bis auf ganz wenige Ausnahmen die Krankenkasse.

Welche Zielgruppe wird angesprochen?
Nicht jeder Patient ist für eine teilstationäre Behandlung in der geriatrischen Tagesklinik geeignet. Sie ist gedacht für ältere Patienten, in der Regel über 70-jährige, mit beginnender Gebrechlichkeit und drohendem Verlust der Selbstständigkeit. Häufig zur Einweisung führen Gangstörungen und Einschränkungen des Bewegungsapparats, Parkinsonsyndrome, chronische Schmerzen, Herzschwäche, Neueinstellung und Optimierung von Blutzucker- und Bluthochdruckerkrankungen oder die Abklärung einer Demenzentwicklung. Ein Wohnort im Umkreis von maximal 40 km bzw. 45 Autominuten um Landau ist Voraussetzung, sonst wird die Anreise zu beschwerlich. Auch Patienten mit höherem Pflegegrad 4 oder 5 sowie Bettlägrige sind ausgeschlossen, genauso wie Patienten mit einer Stuhlinkontinenz oder mit isolierungspflichtigen Erkrankungen.
Die Versorgung am Abend und am Wochenende muss zu Hause gewährleistet sein, damit kommen auch keine Patienten mit akuten schwerwiegenden Erkrankungen in Frage die rund um die Uhr eine medizinische Betreuung benötigen. Wir sind selber immer wieder freudig überrascht wie sehr unsere Patienten von der Tagesklinik profitieren. Mancher kommt zu Beginn noch im Rollstuhl und geht zuletzt sicher mit dem Rollator. Und wie uns ehemalige Patienten und auch Hausärzte berichten hält dieser Effekt oft viele Monate an, weil die Patienten wieder in die Lage versetzt werden selber aktiv zu sein und damit länger fit zu bleiben. Nur ganz verhindern können wir das Älterwerden leider auch noch nicht. 

Spielt Corona eine besondere Rolle?
Die Corona-Pandemie hat unsere älteren Mitbürger in mehrfacher Hinsicht ganz besonders schwer betroffen. Im Gegensatz zu den Jüngeren sind viele von ihnen schwer an COVID19 erkrankt, oder sogar verstorben. Aber auch die soziale Isolation aus Angst vor einer Ansteckung hat vielen zu schaffen gemacht.
In den Krankenhäusern ist wie in den Pflegeheimen die eingeschränkte Besuchsmöglichkeit ein großes Problem, weil diese nicht selten dazu geführt hat, dass Patienten sich weigerten ins Krankenhaus zu gehen obwohl es medizinisch notwendig gewesen wäre. Viele geriatrische Abteilungen wurden ganz oder teilweise geschlossen, weil das Pflegepersonal für die Versorgung der COVID-Patienten abgezogen wurde. Dies hat gerade für die älteren und pflegebedürftigen Patienten zu einer Verschlechterung der Versorgungssituation im Krankenhaus geführt.