Sepsis- die unterschätzte Gefahr

16.03.2021

Für Mediziner ist Sepsis (im Volksmund auch „Blutvergiftung“) kein Fremdwort, aber Laien sagt diese Erkrankung oft wenig – und das obwohl sie nach Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache ist. Rund 75.000 Menschen fallen ihr nach Schätzungen pro Jahr in Deutschland zum Opfer. Mit einer Aufklärungskampagne sollen die Warnzeichen bei Ärzten, Pflegekräften, Patienten und ihren Angehörigen bekannter gemacht werden. Wir haben mit Intensivmediziner Prof. Dr. Michael Quintel und Dr. Michael Welsch vom klinischen Risikomanagement über die Erkrankung und die Kampagne gesprochen.

Herr Dr. Welsch, alle reden nur von Corona. Warum machen Sie auf Sepsis aufmerksam?
Gerade weil die COVID-19 Pandemie derzeit so im Brennpunkt steht und sowohl die öffentliche Diskussion als auch die Sorge der Patienten sehr auf Corona fokussiert ist, ist es wichtig, andere schwerwiegende Probleme nicht aus dem Blick zu verlieren. Und wie Sie gerade schon sagten, spielt die Sepsis als Todesursache in unserem Land immer noch eine erschreckend große Rolle. Viele Todesfälle und auch Langzeitfolgen von Sepsisüberlebenden aber wären vermeidbar, wenn durch Früherkennung eine rechtzeitige Behandlung eingeleitet werden würde, denn Sepsis ist - das müssen wir uns immer bewusst sein - ein medizinischer Notfall. Deshalb ist es so wichtig, aufzuklären und Bewusstsein zu schaffen, Sepsis am besten zu vermeiden bzw. wenn sie auftritt, das Krankheitsbild frühzeitig zu erkennen und konsequent zu behandeln. 

Herr Prof. Quintel, Sie sind ein langjähriger Intensivmediziner. Welche Erfahrungen haben Sie mit Sepsis gemacht?
Die Sepsis, die eine Reaktion des gesamten Körpers und seiner Organe auf das Eindringen und die Vermehrung und Verbreitung von Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Parasiten) darstellt, ist eine der häufigsten Todesursachen für Patienten auf einer Intensivstation. Vereinfacht gesagt bestimmt die Art und die Intensität mit der unser Immunsystem auf die eingedrungenen Krankheitserreger reagiert den Schweregrad der Beeinträchtigung von Organen und Organfunktionen. Im schlimmsten Fall entsteht das Bild eines multiplen Organversagens, das den Tod des Patienten zur Folge hat. Die Sepsis kennt keine Altersgrenzen und ist für alle Altersgruppen gleichermaßen gefährlich und bedrohlich. Es gibt fulminante Verlaufsformen, häufig aber auch einen unerkannten, „schleichen-den“ Beginn. Für beides gilt: je früher es gelingt die Diagnose zu stellen und eine adäquate Therapie gemäß der gültigen Leitlinien einzuleiten, desto größer wird die Chance auf ein Überleben der betroffenen Patienten mit guter Lebensqualität und der Möglichkeit zu einer Rückkehr ins „normale“ Leben.  Meine wichtigste „Erfahrung“ mit der der Sepsis in einem Satz: je kürzer die Zeit zur adäquaten Therapie desto größer die Chance auf einen guten Ausgang. Verlier bei Diagnostik und Therapie keine unnütze Zeit!      

Herr Dr. Welsch, worauf sollte der Laie achten. Auf den roten Strich am Unterarm?
Bei dem „roten Strich“ am Arm alleine handelt es sich erst einmal um eine Entzündung der Lymphbahnen, die meist durch Bakterien hervorgerufen wird und daher durch eine antibiotische Therapie gut behandelbar und dann auch ungefährlich ist. Unbehandelt könnte es daraus wie bei jeder verschleppten Lungenentzündung, Harnwegs- oder Hautinfektion, Entzündung im Bauchraum oder anderer lokaler Infektion zu einer Ausbreitung auf den ganzen Körper und somit zu einem septischen Geschehen kommen. Typische Sepsis-Anzeichen sind extremes Krankheitsgefühl und eventuell starke Schmerzen, Verwirrtheit oder Desorientiertheit, schneller Puls bzw. Herzrasen, schnelle Atmung bzw. Kurzatmigkeit oder hohes Fieber und Schüttelfrost. Bei Neugeborenen und Säuglingen in den ersten Lebenswochen dagegen sind oft ein auffallend schlechtes Trinkverhalten, vermehrte Schläfrigkeit oder anhaltende Unruhe sowie Untertemperatur die ersten Hinweise, Fieber oder Temperaturerhöhung können dagegen komplett fehlen. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit hat dazu eine sehr gute Patienteninformation zusammengestellt, die auf der Homepage des DONAUISAR Klinikums veröffentlich ist. 

Scheinbar tun sich auch Fachleute mit Sepsis schwer. Herr Prof. Quintel, worauf müssen sich die Experten fokussieren?
Ich würde nicht sagen, dass sich Fachleute mit der Sepsis schwer tun. Fachlich haben die zurückliegenden Jahre einen enormen Zuwachs an Wissen und neuen Behandlungsmöglichkeiten er-bracht. Wir verstehen die Mechanismen, die den Schweregrad und Verlauf einer Sepsis bestimmen, immer besser. Wie so häufig in der Medizin liegt aber das Problem nicht im Wissen und Verstehen sondern darin, dieses Wissen und diese Kenntnisse angemessen und ohne zeitliche Verzögerung zum Patienten zu bringen. Vor eine gute Therapie haben die Götter die Diagnose gestellt. Die Experten müssen erkennen, dass die beste Therapie nichts nutzt, wenn sie nicht oder zu spät bei denen ankommt, die sie brauchen, das heißt die Symptome nicht erkannt und die Diagnose spät oder zu spät gestellt wird. Sie müssen sich darauf fokussieren (und das tun sie inzwischen auch) dass wir, was den Therapieerfolg angeht, weniger ein Erkenntnis- oder Wissensproblem haben, als vielmehr ein Transferproblem: wie bekommen wir dieses Wissen frühzeitig und zielgerichtet ans Bett und zum Patienten. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Herr Dr. Welsch, was wäre ein Erfolg der Kampagne gegen Sepsis?
Jeder einzelne vermeidbare Sepsis-Todesfall ist für mich einer zu viel; daher ist jeder Einzelne, den wir durch die Kampagne verhindern können, meiner Meinung nach ein Erfolg.

Herr Dr. Welsch

Herr Prof. Dr. Quintel