Verantwortlich für die Schwerstkranken: Dr. Glanzer
09.03.2021
Als Oberarzt ist Dr. Reinhard Glanzer für die schwerkranken
Patienten mit Corona zuständig. Hier berichtet er über seine Arbeit.
Was ist ihre
Aufgabe in der Corona-Pandemie?
Mein Tag ist gut gefüllt. Als oberärztliche Leitung der
COVID- Intensivstation bin ich zuständige für die Diagnostik und Therapie von
schwerstkranken Patienten mit Corona- Infektion bzw. COVID-19- Lungenentzündung.
Im Vordergrund steht die invasive Beatmung (d.h. über einen Schlauch in
Luftröhre) oder nicht-invasive Beatmung (d.h. Beatmung über Maske) dieser
Patienten. Dazu führen wir zusammen mit den Assistenzärzten täglich mehrfach eine
Visite der Patienten zur Festlegung der notwendigen Diagnostik und
Behandlungsstrategie durch. Eine Kernfrage ist hier z. B.: Wie lange soll die
Beatmung durchgeführt werden? Darin enthalten ist die Kontrolle von Beatmungseinstellung,
der Labordaten und der Kreislauffunktion sowie die Kontrolle von weiteren Organfunktionen
(z. B. der Nieren).
Hinzu kommen diagnostische Maßnahmen wie Lungenspiegelung,
Ultraschalluntersuchung des Herzens oder von Bauchorganen. Als Oberarzt gehört
zu meinen Aufgaben ebenso die Supervision der Assistenzärzte bei schwierigen
Maßnahmen wie Intubation des Patienten (Einführen eines Beatmungsschlauches in
die Luftröhre) oder Anlage von Infusionskathetern. Mitunter sind auch die Gespräche
mit Angehörigen zu führen. Zum Beispiel, wenn es um eine geplante
Therapiereduktion geht. Das ist der Fall, wenn weitere intensivmedizinische
Maßnahmen medizinisch oder ethisch nicht mehr sinnvoll erscheinen. Und
schließlich gehört zu einen Aufgaben die Überwachung der Hygiene-Maßnahmen. Wie
gesagt, der Tag ist gut gefüllt.
Wie erleben Sie
den Klinik-Alltag in der Corona-Pandemie?
Gegenüber Vor-Corona-Zeiten haben wir deutlich höhere
Belastung im Alltag. Wir haben relativ viele schwerstkranke Patienten im
jüngeren und mittlerem Lebensalter, z. T auch ohne Vorerkrankungen. Sie sind aus
dem Leben gerissen. Oft haben sie einen langwierigen Verlauf an der Beatmungsmaschine
mit häufigen Komplikationen, was von allen Geduld, Hartnäckigkeit und
sicherlich viel Frustrationstoleranz erfordert.
Der atmosphärische Gegensatz zwischen dem beruflichen
Szenario und der „übrigen Welt“ empfinde ich in Corona-Zeiten deutlich krasser.
Dem gegenüber steht die tolle Erfahrung mit unserem Team (Pflege und Ärzte!)
auf der COVID-Intensiv: Trotz Bedenken und Ängsten im Vorfeld (persönliches
Risiko durch entsprechende Exposition, erhöhte Belastung durch Tragen der
Schutzkleidung über längere Zeiträume usw.) fand und findet sich ganz überwiegend
eine hohe Einsatzbereitschaft und bemerkenswert positive Einstellung zur
täglichen Arbeit, die Konfrontation mit dem neuen Krankheitsbild wurde meines
Erachtens erfolgreich angenommen. Das ist für mich persönlich die positivste
Erfahrung in der Corona-Zeit!
Angesichts dieser Erfahrungen empfinde ich verständlicherweise
Unverständnis und zum Teil auch Wut über Corona- Verleugner („Querdenker“) oder
auch Impfgegner mit irrationaler Argumentation. Beruflich führte die Pandemie-
Situation auch zu häufig kurzfristigen, organisatorischen Umstellungen, was
erhebliche Flexibilität erforderte. Gleichzeitig führte dies z. B. im
ärztlichen Bereich zu einer extremen Personalknappheit. Auch hier haben sich
viele durch einen großen Einsatz ausgezeichnet.
Was hat die
Pandemie für Sie persönlich verändert?
Persönlich bin ich mit den coronabedingten Einschränkungen im
Alltag relativ gut zurechtgekommen. So musste ich z. B. meine Freizeitaktivitäten
kaum umstellen, da vieles wie Skitouren oder Wanderungen weiterhin möglich sind.
Mit zunehmender Dauer der Pandemie vermisst man natürlich Aktivitäten wie
Treffen mit Bekannten, Lokalbesuch oder Abendveranstaltungen.
Die aktuellen, beruflichen Erfahrungen machen selbstverständlich
nachdenklich: Wie kann man seinen Alltag „bewusster“ gestalten? Was unternimmt
man in seiner wertvollen Freizeit? Bei erfolgreicher Behandlung des Patienten
und Verlegung von Intensiv auf Normalstation empfindet gegenüber früher mehr
Freude und Genugtuung, auch im Team spürt man dieses.
Welcher Moment
wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Da denke ich an eine Patientin im mittleren Lebensalter mit
schwierigem Krankheitsverlauf und Notwendigkeit zur längeren Beatmung, die
relativ kurz nach Entlassung aus dem Klinikum für uns selbstgebackenen Kuchen
vorbeigebracht hat. Oder einen ängstlichen Patienten nach erfolgreicher
Entwöhnung von der Beatmung und guter Besserung des Krankheitsbildes, der die
mögliche Verlegung auf Normalstation zunächst verweigerte und sagte: „Ich fühl
mich hier einfach sicherer, kann einfach besser schlafen, lassen Sie mich noch
ein paar Tage hier.“ Und dass trotz der recht „ungastlichen“ Atmosphäre auf
Intensivstation. Aber da waren auch Angehörige, die mir am Telefon vorwarfen,
dass wir auf Intensivstation „gesunde“ Menschen beatmen.
Was wünschen Sie
sich für die Zeit nach Corona?
Erlauben Sie mir eine Anmerkung: Wenn es so etwas wie
„Corona-Helden“ gibt, dann findet man für mich diese unter Angehörigen des
Intensivpflegepersonals. Daher ist für mich eine gesellschaftliche und
finanzielle Aufwertung dieses Berufes und nicht nur Einmalbonus-Zahlung und
Applaus im Bundestag für wenige Minuten von großer Wichtigkeit. Durch die
Mehrbelastung in der Pandemie entstanden inakzeptable Arbeitsbelastungen. Solche
„Spitzen“ sollten in Zukunft vermieden werden, auch wenn in der Intensivmedizin
Zeiten mit sehr hoher Arbeitsdichte nie ganz zu vermeiden sind. Mit
Wiederaufnahme des Regelbetriebes nach Corona werden wieder organisatorische
Änderungen erforderlich, dies sollte mit „ruhiger“ Hand erfolgen. Ganz
persönlich freue ich mich darauf, wieder zu reisen.