7. Deggendorfer Palliativgespräche
28.12.2019
Eigenen Willen festlegen, Überbehandlung vermeiden
Über sehr prominente Gäste hat sich Chefarzt Prof. Dr. Siegfried Wagner bei der Eröffnung der Deggendorfer Palliativgespräche gefreut. Schon zum 7. Mal lud das DONAUISAR Klinikum zumAustausch mit führenden Palliativmedizinern in Deutschland ein. Gekommen waren rund 150 interessierte Fachleute. Ihnen konnte Mitorganisator Dr. Jörg Cuno von PalliDONIS Deutschlandsbesten Chor aus dem Jahr 2018 präsentieren: Sonat Vox unterhielt die Teilnehmer erstklassig – vornehmlich mit Stücken aus der deutschen Romantik.
Vielfach eine Überbehandlung sah Dr. Matthias Thöns gegeben. Es werde zu viel intensiv und zu wenig palliativ behandelt. Eine Ursache sah der niedergelassene Palliativmediziner in einemVergütungssystem, das Operation, Bestrahlung und Beatmung honoriere. Zudem sei die Intensivmedizin oft leidvoll für die Patienten. Deswegen appellierte er einerseits an die Politik, damitKrankenhäuser und vor allem das Personal auskömmlich finanziert werden, und andererseits an die Menschen. Diese sollten als mutige Bürger durch Patientenverfügungen ihren Willen festlegensollten.
Hier schloss sich Prof. Dr. Friedemann Nauck an. Der Direktor der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Göttingen stellte ein Projekt vor, um die eigene Behandlung im Voraus planen zukönnen. Hierzu erläuterte er die gesetzlichen Beratungsmöglichkeiten. Dabei geht es um die Patientenverfügung und die systematische Sicherstellung ihrer Umsetzung in Verbindung mit demPflegeheim, dem Hausarzt und dem Rettungsdienst. Dabei wird auf Formularen für verschiedene Stufen einer Erkrankung festgehalten, welche Maßnahmen gewünscht werden. So könne man denWildwuchs an Vorlagen für Patientenverfügungen lichten und dem Patientenwunsch besser gerecht werden. Hier riet er jedem Zuhörer ein eigenes Wertbild zu schreiben, auf dem man bei diesenFragen aufbauen könne.
Neben den Vorträgen und der Musik gab es auch noch eine Gelegenheit zum Gespräch und der Vernetzung zwischen den verschiedenen Fachleuten. Die Resonanz war so positiv, dass das Organisationsteam schon die Wiederholung für das Jahr 2020 ins Auge fasst.
Dr. Barbara Lighvani (v.l.), Prof. Dr. Siegfried Wagner, Prof. Dr. Friedemann Nauck, Dr. Jörg Cuno, Dr. Matthias Thöns, Dr. Peter Kolbinger
Ein Interview zur Palliativmedizin in Deutschland
Die Palliativmedizin hat in den vergangenen Jahrzehnten
immer mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft gefunden. Diese Entwicklung
bilanzieren vier Experten im folgenden Interview. Wir haben die Deggendorfer
Palliativmediziner Prof. Dr. Siegfried Wagner und Dr. Jörg Cuno sowie
deutschlandweit anerkannten Experten Dr. Matthias Thöns und Prof. Dr.
Friedemann Nauks befragt.
Herr Prof. Wagner,
was versteht man unter Palliativmedizin?
Palliativmedizin ist die ganzzeitliche Betreuung des
Patienten auf seinem letzten Lebensweg. Hierbei gibt es keine Option mehr auf
Heilung. Sie umfasst verschiedene spirituelle und medizinische Bereiche.
Allerdings geht es auch um die Familie und die Umgebung. Das betrifft nicht nur
Patienten mit einer Krebserkrankung, sondern auch alle Patienten mit einer lebensbedrohlichen
oder lebenszeitverkürzenden Erkrankung leiden.
Herr Dr. Cuno, ist
die Palliativversorgung nur im Krankenhaus möglich?
Palliativversorgung ist nicht nur im Krankenhaus möglich.
Seit ein paar Jahren gibt es die gesetzliche Grundlage für eine spezialisierte
ambulante Palliativversorgung und seitdem kann man in den verschiedenen
Bundesländern die Versorgung auch wirtschaftlich betreiben. Vor dieser Regelung
war die ambulante Palliativversorgung ehrenamtlich.
Herr Prof. Nauck,
bedeutet Palliativmedizin, dass man keine aktive Pflege und Behandlung bekommt?
Jeder, der eine Palliativversorgung benötigt, hat
weitfortgeschrittene und fortschreitenden Erkrankungen mit einer hohen
Symptombelastung – mit Schmerz, Verstopfung, Durchfall oder große Wunden.
Krankenpflege ist eine der zentralen Dinge, die diese Patienten brauchen auch
um wieder mobilisiert zu werden in Gemeinschaft mit Physiotherapeuten und dem
gesamten Team. Hier kann die Krankenpflege ihren gewöhnten Ursprung wieder ausleben.
Herr Prof. Wagner,
wird bei einer Palliativbehandlung auf jeden Fall Morphin gegeben?
Wenn der Patient keine Schmerzen hat, sondern andere
Probleme, wird kein Morphin gegeben. Leider sind in dem meisten Fällen
Schmerzen vorhanden und dann ist Morphin eher ein Segen. Allerdings gibt es
auch in Deutschland Arztgruppen, die zu viel Morphin geben. Es ist sehr
schwierig die Patienten von zu hohen Dosierungen wieder herunter zu bekommen.
Herr Dr. Thöns,
welche Rolle spielen die Cannabinoide?
Eine zweitrangige Rolle, es wird selten verschrieben. Es ist
mehr ein Reservemedikament für spezielle spastische Schmerzen. Mit jeder
Veröffentlichung der Zeitschrift bekommen wir mehr Anfragen zu Cannabis.
Herr Dr. Cuno, muss
man im Sterben liegen um eine Palliativversorgung zu erhalten?
Nein, es ist leider immer noch so, dass wir als ambulante Palliativteams
sehr oft zu sterbenden Patienten gerufen werden. Unser Wunsch wäre, dass
wir sehr zeitnah dazu gezogen werden; im besten Fall, wenn z. B. bei einer
Tumorerkrankung diese schon metastasiert ist und man weiß, dass eine palliative
Situation ist nicht mehr auszuschließen ist. Zu diesem Zeitpunkt sollte ein
erstes Gespräch stattfinden.
Herr Dr. Thöns, kann
man eine Station, die sich der Palliativcare widmet, lebend verlassen?
Die Statistik der Sterbenden auf einer Palliativstation
beträgt ca. 50%. Im Hospiz allerdings schätzungsweise 98% Sterbende.
Erfreulicher Weise gibt es auch Patienten, die sich mit der palliativen
Therapie dramatisch verbessern.
Herr Prof Nauck, wie
lange kann man auf einer Palliativkehrstation bleiben?
Sie sind als Krisen-Intervention-Station gedacht, das heißt
wir nehmen Patienten auf und versuchen die Symptome zu lindern und zu
verbessern. Dann geht es um eine akkurate Weiterversorgung zu Hause mit dem
Hausarzt und manchmal mit spezialisierten Anbietern. Ein Teil dieser Patienten
wird auch in die Pflegeeinrichtung, Kurzzeitpflege oder in Hospize verlegt. Die
Abrechnung im System der Fallpauschalen ist ein schwieriges Thema. In jedem Fall
sollte man das Krankenhaus so finanzieren, dass es überleben kann. In
Deutschland gibt es nur noch zwei Universitätsklinika, die nicht in roten
Zahlen liegen.
Herr Dr. Cuno, was
muss man tun um Palliativmedizin in Anspruch nehmen zu können?
Viele wissen oft gar nicht, dass es sowas überhaupt gibt.
Was man braucht ist ein gutes Angehörigennetzwerk, die letztendlich
durchgreifen und aussprechen, dass sie es für ein Familienmitglied in Anspruch
nehmen wollen. Der Hausarzt muss dann für die Ambulanz eine Verordnung
ausstellen, denn ohne seine Unterschrift hat man keine Möglichkeit dazu.
Herr Dr. Thöns, Wenn
Sie einen Wunsch frei hätten für die Palliativmedizin in Deutschland, was wäre
ihr wichtigstes Anliegen?
Ich würde mir wünschen, dass die Palliativversorgung viel
früher zum Patienten kommt. Da ich der festen Überzeugung bin, dass wir durch
frühere Palliativversorgung nicht nur Patienten haben, denen es viel
bessergeht, sondern, dass wir auch viel unsinnige Medizin am Lebensende
vermeiden können.
Herr Prof. Nauck, Wo
sehen Sie die größte Stärke und die größte Schwäche der Palliativversorgung
in Deutschland?
Die größte Stärke ist, dass die Palliativmedizin eben nicht
nur in einem Krankenhaus/in einer Klinik oder einer Praxis wirksam ist; sondern
in der Gesellschaft wirksam ist und wirksam geworden ist. Damit hat sie ein
Umdenken an vielen Stellen erreicht hat. Als wir angefangen haben 1988/1989 war
es so, dass man sich rechtfertigen musste, wenn man den Begriff Palliativ
genannt hat; heute werden wir zu viel angefragt, so dass man sagen muss da passiert
etwas. Das größte Hindernis ist, dass wir die Patienten erst oft spät sehen. Außerdem
häufig nicht der Patient der ist der unbedingt ins Krankenhaus will oder in ein
Heim, sondern die Angehörigen, die nicht genügend gestützt werden. Deswegen
gibt dieses Konzept im Englischen unit of care. Das Konzept sagt aus: Es geht
mir nicht nur um einen Patienten allein, sondern auch um die Angehörigen.
Krankenschwestern berichten, dass sie 50 Prozent ihrer Arbeitszeit mit
Angehörigen verbringen; dies wird von keiner Krankenkasse bezahlt. Aber man
sollte die Angehörigen gesund halten und Entlastungsmöglichkeiten geben. Zehn
Prozent der Betten sollten für rest by care sein; für Leute die dorthin kommen zwei
bis drei Wochen verweilen dürfen bis die Familie zum Beispiel im Urlaub war.
Man sollte dran denken, dass wir viel mehr Langzeitverläufe haben und für diese
ist unser Pflegesystem nicht vorbereitet, sind Angehörige nicht vorbereitet; da
ist der Gesetzgeber gefragt um zu überprüfen wie das der Fall sein kann.
Herr Dr. Thöns, sehen Sie
sich auch als Rebell?
Ich bin mit meinem Thema Übertherapie sicherlich den ein
oder anderen etwas auf den Fuß getreten, trotzdem bin ich eigentlich ganz froh,
dass dieses Thema jetzt zunehmend in die Öffentlichkeit gelangt. Ich bin
weiterhin der Meinung, dass wir in der Gesellschaft ein Problem mit viel zu
viel Intensivmedizin haben und viel zu wenig Palliativpatienten.
Herr Prof. Nauck, wo sehen
Sie spannende Forschungsfelder?
Also ich glaube die Forschung fängt gerade erst so richtig
an in diesem Bereich, was sehr spannend für uns ist, dass die Forschung andere
Schwerpunkte hat. Wir arbeiten weniger quantitativ in der Forschung, also wir
zählen weniger und vergleichen. Sondern wir befragen Patienten, Bewohner und
die Behandler. Ein weiterer Bereich, der sicher sehr spannend ist in der
Forschung, ist die gesamte Pflegewissenschaft. Ich glaube man kann nicht immer sagen
wir machen ein ganzheitliches Konzept für Behandlung aber letztendlich steht
dort immer der Arzt und die vielen Unklarheiten die wir haben treiben die
Patienten in die Verwirrung und Unruhe.
Herr Prof. Nauck, was hat
das Recht auf Selbsttötung mit Palliativmedizin zu tun und wie sehen Sie das?
Das Jahr 2015 in der Gesetzgebung §217 war ein sehr aktives
und inaktives Jahr von Selbstbestimmung und Selbsttötung auf Verlangen und der
Frage von ärztlich assistierendem Suizid. Man muss klar sagen: Der Suizid ist
in Deutschland nicht strafbar und die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland auch
nicht strafbar (anders als in Österreich). In Deutschland ist die Beihilfe des
Arztes bei der Selbsttötung eingeschränkt, weil man sagt, wir können Rezepte
ausschreiben und unser Wissen nutzen, um das zu tun. Wir haben eine große
Studie dazu gemacht unter den Mitgliedern der Deutschengesellschaft für Palliativmedizin.
Da finden wir 30 Prozent, die das gar nicht so schlimm finden. Die Palliativmedizin
ist viel zu wenig vorbereitet und in meinen Augen muss das auch ein gesellschaftlicher
Auftrag sein. Vereinsamung führt dazu, dass man keine Lust mehr hat zu leben.
Es gibt aber auch oft Leute, die eine super Palliativversorgung bekommen und trotzdem
sagen: „Ich will nicht mehr“ und egal was wir machen, würden die nicht von
diesem Wunsch wegkommen. Dann geht es darum, dass man irgendwie schaut,
trotzdem eine Hilfe anzubieten und sie in dem Gedanken, sterben zu wollen,
nicht alleine lässt. Man muss in diesem Fall trotzdem Unterstützung anbieten
und ihnen nicht das Gefühl von Einsamkeit geben. Die Ethische Grenze ist
hierbei unheimlich knapp.